Damit Kunden eine reiche Auswahl haben, halten Bäckereien oft einen Großteil ihres Sortiments bis zum Ladenschluss bereit. Doch was passiert mit all den Broten, Brötchen und Backwaren, die nicht mehr verkauft werden?
Was früher schon mal im Müll landete oder entsorgt werden musste, verkauft die Bäckerei-Konditorei Josef Welling im saarländischen Saarwellingen heute in ihrem Vortagsladen. In diesen Läden verkaufen Bäckereien ausschließlich Backwaren vom Vortag und das zu deutlich vergünstigten Preisen. Sowohl die Bäckereien als auch Verbraucher:innen, die dort einkaufen, retten so kostbare Lebensmittel. Die Idee dazu hatte Joachim Paul vor zehn Jahren. „Ich wollte damit ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen“, erzählt der Betriebsleiter. Die übrig gebliebenen Backwaren sollten nicht im Müll landen. „Da steckt so viel Arbeit drin. Es tat mir in der Seele weh, diese hochwertigen und absolut genießbaren Nahrungsmittel entsorgen zu müssen“, erklärt er.
Alles andere als langweilig: Die Backwaren in Vortagsläden
Das Angebot im Vortagsladen ist breit: „Wir verkaufen auch Backwaren aus Backversuchen, ebenso wie zu dunkel gewordenes Brot, Bruchgebäck oder beispielsweise das Rosinenbrot, das unsere Lehrlinge im Rahmen von Ausbildungstagen gebacken haben“, führt Paul aus. Die Waren seien allesamt von sehr guter Qualität, Brötchen etwa würden oft noch am späten Nachmittag gebacken. Alt seien die am nächsten Morgen nicht. 2022 rettete die Bäckerei Welling so beispielsweise 28.000 Brote, fast 10.000 Brötchentüten mit je fünf bis zehn Brötchen, 37.000 lose Teilchen, 14.000 Baguettes, mehr als 5.300 Kuchenplatten und viele weitere Lebensmittel wie Stollen und jahreszeitliches Gebäck.
Ein Problem für die Umwelt: Lebensmittelabfall
In Deutschland entstehen circa 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle im Jahr. 78 kg Lebensmittelabfälle pro Kopf und Jahr fallen allein in privaten Haushalten an. Davon nehmen Brot und Backwaren mit 13 Prozent eine Spitzenposition ein, gleich nach Obst und Gemüse sowie zubereiteten Speisen. Im deutschen Groß- und Einzelhandel werden jährlich rund 800.000 Tonnen Lebensmittel als Abfall aussortiert.
Weil vor allem in den vergangenen Jahren mehr Menschen und Unternehmen für das Problem der Lebensmittelverschwendung sensibilisiert worden sind, werden übrig gebliebene Lebensmittel öfter gespendet oder in dafür eigens eingerichteten Läden zu günstigen Preisen verkauft. Besonders größere Bäckereien mit mehreren Filialen haben in den vergangenen Jahren dafür eigene Vortagsläden eröffnet. Sie gibt es inzwischen in fast allen Regionen und Städten des Landes.
Vortagsläden verringern Lebensmittelverschwendung
Die Bäckereien und Verbraucher:innen leisten so Hand in Hand einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz: Denn in jedem Lebensmittel stecken natürliche Ressourcen – von landwirtschaftlicher Fläche über Wasser und Energie bis hin zur Arbeitsleistung der Produzent:innen. Zum Vergleich: Wäre die weltweite Lebensmittelverschwendung von Primärproduktion bis zu privaten Haushalten ein Land, so müsste sie nach China und den USA als weltweit drittgrößter Treibhausgasemittent gelten.
Auch die Inhaber:innen der Frankfurter Bäckerei Huck entschlossen sich 2020 einen Laden zu eröffnen, in dem Backwaren vom Vortag verkauft werden. Und er trägt einen auffälligen Namen „Yesternday“: „Mit Yesternday haben wir uns in der Pandemie ein Herzensprojekt realisiert“, erzählt Tanja Huck. Schon immer habe es sie gestört, Lebensmittel einfach wegzuwerfen. Deshalb werden Backwaren stets an die Frankfurter Tafel oder Bauern der Umgebung weitergegeben. Auch Paniermehl stelle man aus den eigenen Brötchen her. Und doch bliebe abends viel übrig, denn die Kund:innen erwarten Vielfalt bis zum Ladenschluss. Geschätzt 200 Kilo Brote, Brötchen und Kuchen bleiben täglich in den elf Filialen übrig, sagt Huck, und werden deshalb im Vortagsladen „Yesternday“ im Frankfurter Bockenheim verkauft. Dort können die Produkte zum halben Preis erstanden werden. „Das Konzept zu Yesternday stammt von unserem Ladenbauer Hunold, der mit der Bäckerei Bergmann mehrere Yesterndays rund um Erfurt betreibt“, erläutert sie. Die Einnahmen daraus spendet das Unternehmerpaar komplett an soziale Projekte. Bereits 2021 war die Bäckerei Bergmann mit ihrem Yesternday-Projekt für den Zu gut für die Tonne! – Bundespreis nominiert.
Erfreut Kund:innen: Kuchen zu niedrigen Preisen
In Wellings Vortagsladen kommen auch Menschen, die auf den Preis achten müssen: „Manche Kunden freuen sich, dass sie sich so Kuchen leisten können“, erzählt Paul. Andere vertragen das frische Brot nicht und kommen deshalb. Aber auch Paul stellt fest: „Inzwischen stehen immer mehr Menschen hinter dem Konzept, Lebensmittel vor der Tonne zu bewahren“. Doch was passiert eigentlich mit den Waren, die im Vortagsladen übrigbleiben? Einiges spendet die Bäckerei an die Tafel oder an Kinder in der Nachmittagsbetreuung. „Sind in der Faschingszeit viele ‚Kreppel‘ übrig, werden diese auch mal Lehrer:innen stark vergünstigt mitgegeben“, sagt Paul. Was dann noch bleibt, bekommen Bauern für ihre Tiere.
Weiterführende Infos und Tipps
Wer Backwaren rettet, hilft Lebensmittelverschwendung zu verringern, und das spart Ressourcen, Geld und ist gut für die Umwelt. Kreative Reste-Rezepte für Brot und Brötchen finden Sie in der kostenfreien Zu gut für die Tonne!-App. Was man generell alles aus Lebensmittelresten zaubern kann, verrät außerdem der Beitrag Reste verwerten. Eine kleine Liste mit einer Reihe Vortagsläden quer durch die Republik hat das Informationsportal „utopia“ zusammengetragen.