Für ihr Projekt „Gelbes Band“ ist die Obst- und Gartenbauberatung des Landkreises Esslingen 2020 mit dem Zu gut für die Tonne! – Bundespreis in der Kategorie Landwirtschaft und Produktion ausgezeichnet worden. Im Interview erzählt der Projektverantwortliche Jens Häußler, wie die Aktion angenommen wird, warum das „Gelbe Band“ den Obstdiebstahl in der Region nicht befördert und welche persönlichen Verarbeitungstipps er für die Obsternte hat.
Ihr Projekt „Gelbes Band“ sorgt dafür, dass auf den Streuobstwiesen bei Ihnen im baden-württembergischen Landkreis Esslingen keine Früchte mehr ungenutzt verrotten müssen. Wie genau funktioniert das Prinzip?
Unser Ziel ist, dass Streuobst, das von seinen Besitzer:innen nicht mehr verwertet wird, doch noch Abnehmer:innen findet. Die Bewirtschafter:innen bekommen die Möglichkeit, in ihrem Rathaus oder Bürgerbüro ein gelbes Band aus Papier abzuholen und damit ihre Obstbäume zu markieren. Wenn die Obstbäume dann mit diesem Band versehen sind, bedeutet das für alle, dass an diesen Bäumen geerntet werden darf, beziehungsweise, dass das Obst, das um die Bäume herumliegt, eingesammelt werden darf.
In diesem Jahr haben Sie mit Ihrem Projekt den Zu gut für die Tonne! – Bundespreis gewonnen. Was hat sich durch die Teilnahme an dem Wettbewerb bzw. durch den Gewinn für Sie und Ihr Projekt verändert?
Mein Ziel, das wir mit dem Gewinn des Bundespreises auch erreicht haben, war, dass diese Idee und dieses Projekt einfach mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das Projekt sollte nicht nur hier in Baden-Württemberg oder hier im Landkreis Interesse wecken, sondern auch darüber hinaus. Die Idee ist simpel und leicht umzusetzen, sodass hoffentlich auch andere motiviert werden können, ein solches Projekt zu starten. Durch die Anfragen aus ganz Deutschland merken wir jetzt schon, dass da mittlerweile eine Resonanz da ist, die alleine mit der lokalen Pressearbeit nicht möglich gewesen wäre. Und es freut mich sehr, dass so viele Interesse haben, ein solches Projekt bei sich in der Region oder in der Stadt oder in der Gemeinde beziehungsweise dem Landkreis durchzuführen.
Wie viele Besitzer:innen von Streuobstwiesen haben sich bereits an dem Projekt beteiligt?
Ende 2019, nach der ersten Saison, in der das Projekt im ganzen Landkreis durchgeführt wurde, ergab eine Abfrage, dass zwischen 100 und 150 Bewirtschafter:innen Bänder in ihren lokalen Ämtern abgeholt und damit ihre Bäume markiert hatten. Gemessen an der Dreiviertel Million Obstbäume, die es im Landkreis gibt, erscheint das erstmal als kleiner Teil. Man muss aber auch sehen, dass es immer noch viele Bewirtschafter:innen gibt, die das Obst selbst verwerten. Das Projekt „Gelbes Band“ ist auf mehrere Jahre angesetzt und wir rechnen damit, dass diese Zahlen sich Stück für Stück erhöhen werden. Mittlerweile sind 40 der 44 Gemeinden in unserem Landkreis Teil der Aktion. Das ist in jedem Fall ein großer Erfolg.
Wieviel Obst kann durch die Aktion schätzungsweise gerettet werden?
Das ist schwierig zu sagen, da man ja auch nie weiß, wieviel die Leute wirklich mitnehmen. Manche machen sich beim Spazierengehen eine Stofftasche voll, andere rücken mit großem Gerät zur Ernte an. Insgesamt wird es wohl eine gute Tonne Obst gewesen sein, die durch die Aktion vor dem Abfall gerettet werden konnte.
In der Lokalpresse gab es auch vereinzelte Kritik an dem Projekt: Verrottendes Obst auf den Wiesen sei gar nicht das Hauptproblem – viel häufiger bekämen Wiesenbesitzer:innen es aber mit Obstdieb:innen zu tun. Was sagen Sie dazu?
Das ist nicht die Schuld des „Gelben Bands“. Leute, die so etwas machen, haben auch schon vor dem „Gelben Band“ das Obst von den Obstbäumen geklaut. In unserer begleitenden Pressearbeit sagen wir ganz klar, dass nur von solchen Bäumen geerntet werden darf, die auch mit dem „Gelben Band“ markiert sind. Alles andere ist Diebstahl.
Die meisten professionellen Bewirtschafter:innen haben ihre Anlagen ohnehin eingezäunt, sodass dort auch niemand reinkommt. In der Regel sind es auch kleinere Mengen, die geklaut werden. Aber selbstverständlich ärgert es alle, wenn Obst gestohlen wird. Ganz praktisch: Worauf muss ich als Verbraucher:in beim Sammeln von Obst achten?
Bei Obst und Gemüse gilt eigentlich immer: Solange es noch genießbar aussieht, riecht und schmeckt, kann es in der Regel auch noch verzehrt werden. Bei Äpfeln lässt sich das zum Beispiel ziemlich leicht erkennen. Und selbst wenn der Apfel oder die Birne, die man in der Nähe eines markierten Baumes auf dem Boden gefunden hat, vielleicht schon eine Druckstelle oder eine kleine faulige Stelle hat, kann man sie immer noch zu Mus oder Kompott verarbeiten. Dafür schneidet man einfach die „dätschige“ Stelle, wie man auf Schwäbisch sagt, weg, und kocht das Ganze ein.
Haben Sie schon Projektpläne für die Zukunft, wie Lebensmitteln noch mehr Wertschätzung entgegengebracht werden kann?
Wir von der Obst- und Gartenbau-Beratung wollen im nächsten Jahr eine Veranstaltungsreihe starten, in der es darum gehen soll, wie man Obst von der Wiese sinnvoll verwerten kann. Wir haben hier im Landkreis das Freilichtmuseum in Beuren, das auch über eine Obstwerkstatt beziehungsweise über ein sogenanntes „Erlebnis.Genuss.Zentrum“ verfügt. In diesem gibt es eine voll ausgestatte Küche, in der Kurse und Vorträge stattfinden können. Diesen Oktober schon soll es dort mit unserem ersten Kurs zum Thema „Wie backe ich einen Apfelkuchen?“ beziehungsweise „Welche Apfelsorten eignen sich besonders gut zum Kuchenbacken?“ losgehen. Solche Veranstaltungen wollen wir in Zukunft noch deutlich häufiger durchführen. In Anlehnung an das Hauptanliegen des Bundespreises immer geleitet von der Frage, wie man das Obst, das man von der Wiese holt, auch schmackhaft verwerten kann.
Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für unsere Leser:innen, wie sie gesammeltes Obst möglichst gut verwerten können?
Was sich immer sehr gut auch aus größeren Obstmengen herstellen lässt, ist natürlich Saft. Bei uns in der Gegend kann man sich zum Beispiel an vielen Orten Saft aus seinem eigenen mitgebrachten Obst pressen lassen.
Ansonsten bieten sich Marmeladen und Eingemachtes wie Apfelmus an. So verarbeitet hält sich das Obst auch ziemlich lange. Auf diesem Weg kann man mit dem Obst, das man im Oktober oder November geerntet hat, auch im nächsten Frühjahr noch einen Pfannkuchen oder eine Waffel bestreichen. Obst einkochen ist simpel, geht schnell und ist für viele deshalb die erste Wahl für die Obstverwertung. Einkochen kann man außerdem fast jedes Obst, von Kirschen über Äpfel bis hin zu Birnen, Mirabellen und Pflaumen – was immer die Streuobstwiese hergibt.
Für den Direktverzehr kann ich außerdem Kuchen empfehlen: Aktuell bieten sich Pflaumen- und Mirabellenkuchen an. Mit regionalem Streuobst schmeckt es einfach immer noch mal ein bisschen besser als mit Obst aus dem Supermarkt.