Sabine Werth ist Mitbegründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel. 2003 erhielt sie für ihr ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz. In unserem Interview blickt sie auf ein schwieriges Jahr für die Tafeln in Deutschland zurück und erklärt, was die Pandemie für die Lebensmittelweitergabe und die Spendenhochsaison in der Weihnachtszeit bedeutet.
Wie haben Sie bei der Berliner Tafel das Jahr 2020 erlebt?
Das Jahr 2020 war für die Berliner Tafel aufgrund von Corona Horror und Highlight gleichermaßen. Jeder Tag stellte uns vor neue Herausforderungen.
In ganz Deutschland mussten viele Tafeln schließen, weil entweder die Bedürftigen in zu großen Gruppen aufliefen oder weil die Ehrenamtlichen zur Risikogruppe zählten und isoliert werden mussten. Bei uns in Berlin war das nicht anders. 42 unserer 45 Ausgabestellen mussten wir vorübergehend zumachen, weil die meisten unserer Ehrenamtlichen über 60 sind und damit zur Risikogruppe gehören.
Bei der Berliner Tafel haben wir dann auf Tütenbelieferung nach Hause umgestellt. Die Leute konnten sich telefonisch in den jeweiligen Ausgabestellen melden und Bedarfe angeben. Wir sind dann mit Fahrrädern oder mit Autos bei ihnen vorbeigefahren und haben vorgepackte Lebensmitteltüten an die Wohnungstüren gebracht. Auf diese Art haben wir immerhin mehr als 130.000 Tüten mit je acht bis neun Kilogramm Lebensmitteln verteilen können. Das war schon ein logistischer Horror, aber wir waren gleichzeitig auch sehr glücklich, dass wir es mit viel Unterstützung geschafft haben.
Dementsprechend war die Zahl der geretteten und weitergegebenen Lebensmittel insgesamt aber deutlich niedriger als in normalen Jahren?
Wir haben insgesamt weniger Lebensmittel sammeln können, weil zum Beispiel durch die Hamsterkäufe die Regale in den Supermärkten relativ leer waren. Es gab dann aber verschiedene Firmen, die extra für uns gespendet und uns teilweise sogar selbst beliefert haben. Dadurch hatten wir eine relativ stabile Menge an Lebensmitteln.
Dann war es aber auch so, dass wir weniger weitergeben konnten, weil von den gut 300 sozialen Einrichtungen, die wir normalerweise mit unseren Lebensmitteln unterstützen, gut zwei Drittel zeitweise geschlossen waren. Wir haben dann aktiv nach anderen Abnahmestellen gesucht. So haben wir zum Beispiel noch mehr Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete beliefert. Insgesamt konnten wir so trotzdem eine ganze Menge Lebensmittel retten.
Welchen Einfluss haben größere Sonderaktionen auf das Spendenaufkommen bei der Tafel. Stellt deren Wegfallen Sie nun vor Probleme?
Übers Jahr gibt es bei uns drei Sonder-Sammelaktionen: Zwei Wochen vor Ostern, zwei Wochen vor Erntedank und zwei Wochen vor Weihnachten stehen unsere Ehrenamtlichen in Supermärkten und bitten die Kundschaft, ein Produkt mehr zu kaufen und es nach dem Bezahlen an uns zu spenden. Diese Aktionen sind dieses Jahr aufgrund der Pandemie allesamt ausgefallen. Dadurch hatten wir schon zwischen 40 und 50 Tonnen weniger Lebensmittel zur Verfügung.
Andererseits hatten wir ein erhöhtes Spendenaufkommen als die ganzen Restaurants im März das erste Mal schließen mussten. Die mussten natürlich ihre Küchen und Lager leerräumen und haben dann vielfach an uns gespendet, um nichts wegwerfen zu müssen. Das hat sich schon bemerkbar gemacht.
Wie können Verbraucher:innen Sie und Ihre Arbeit in dieser schwierigen Zeit unterstützen und auf diese Weise Lebensmittel retten?
Als Tafel sind wir mit der Sammlung und Weitergabe von Lebensmitteln im großen Stil beschäftigt. Kleinteilige Privatspenden können wir leider nicht bearbeiten. Privat läuft so etwas am besten über Foodsharing-Angebote.
Allerdings haben wir vor kurzem noch eine Alternative für Privatspender:innen geschaffen und einen Laden namens „Haltbar“ eröffnet. In den letzten fast 28 Jahren haben wir enorm viel Trödel aus Haushaltsauflösungen und von Ehrenamtlichen gespendet bekommen. Jetzt haben wir in Charlottenburg einen Laden für die Dauer von drei Jahren kostenlos angeboten bekommen, den wir nun dazu nutzen, den bei uns gesammelten Trödel gegen haltbare Lebensmittel zu tauschen. Deswegen auch der Name „Haltbar“ – haltbarer Trödell gegen haltbare Lebensmittel. Wir machen das jetzt gut vier Wochen und die Resonanz ist enorm. Die Leute kommen und spenden uns Lebensmittel, manchmal nehmen sie Trödel mit, manchmal stellen sie noch welchen dazu. Das ist wirklich eine richtig tolle Sache und auf diese Art hoffen wir, die vorweihnachtlichen Spendeneinbußen in 2020 ein bisschen ausgleichen können.
Haben Sie für die Weihnachtstage bei der Tafel spezielle Aktionen geplant?
Unter normalen Umständen hätte jede Tafel in diesem Land irgendetwas Besonderes geplant. Wir hätten alle Weihnachtsfeiern für die Bedürftigen veranstaltet, wir hätten alle irgendwelche Sonderaktionen durchgeführt. Wegen Corona fällt das dieses Jahr leider flach.
Aktuell sind wir deshalb damit beschäftigt, möglichst viele soziale Einrichtungen zu erreichen, um zu erfragen, wie wir sie gerade in der Advents- und Weihnachtszeit noch besser unterstützen können.
Ziel ist es natürlich auch, am Ende möglichst wenige Lebensmittel entsorgen zu müssen. Erfahrungsgemäß kriegen wir kurz vor Weihnachten extrem viele Lebensmittelspenden. Diese dann trotz unserer Ausfälle bei den Ehrenamtlichen unter die Leute zu bringen, wird eine große Herausforderung.